24. Mai 2012 | 10:13 Uhr

Vor rund zwei Jahren initiierte Adriana Lettrari die 3te Generation Ost. In ein paar Tagen sitzt sie mit ihren Mitstreitern, einem Dokumentarfilmteam und Pressebegleitern im Bus und tourt durch den Osten Deutschlands mit einem dichten Programm. Im Interview steht sie Rede und Antwort: Warum noch über Ost und West reden? Und wie kam eigentlich die Auswahl der Tourstopps zustande?

Die Tour ist das erste Projekt dieser Art – und auch ein bisschen abenteuerlich. Worauf freust Du Dich besonders?

Unsere Bustour ist aus dem Spirit des ersten Generationstreffen der 3ten Generation Ostdeutschland im Juli 2011 in Berlin entstanden. Dort haben sich 150 Menschen auf den Weg gemacht, ihre Sprachlosigkeit und Unsichtbarkeit zu überwinden und einen neuen Dialog mit sich selbst, mit der zweiten und ersten Generation Ost sowie der dritten Generation West zu finden. Unser Zukunftsblick ist dabei ein europäischer. In einem Jahr ist unglaublich viel passiert: Intensive Gespräche haben stattgefunden – zu zweit, in Gruppen, auf öffentlichen Podien und in den Medien.

Ich freue mich besonders darauf, diesen berührenden und erkenntnisreichen Austausch auf unserer Bustour in Ostdeutschland mit allen, die neugierig auf uns sind, weiter zu führen – die dritte Generation vor Ort kennen zu lernen. Und in zehn Tagen mit 20 Personen in einem Bus einmal von Nord nach Süd durch ganz Ostdeutschland zu fahren ist schon auch ein Kindheitstraum!

Der Bus steuert abgelegene Orte wie Kirschau in Ostsachsen und aufstrebende Städte wie Halle an. Leipzig und Dresden, Vorzeigestädte für die Entwicklung Ost, sind nicht dabei. Wie kam die Auswahl der Tourstopps zustande?

Dem Strategieteam war es wichtig, alle 2.000 Personen unseres Netzwerks zu fragen: Wer hat Lust, in seinem Heimatort mit lokalen Partnern vor Ort eine Veranstaltung im Rahmen der Bustour zu organisieren – wieder Kontakt aufzunehmen zu dem Ort, an dem wir manchmal nur noch unsere Eltern und Großeltern kennen? Und zu schauen, wo sich die dritte Generation Ost „versteckt“. Zudem wollten wir nicht nur die prosperierenden ostdeutschen Städte bespielen, wo sich spannende Dialoge bereits entwickeln. Den ländlichen Raum mit in den Blick zu nehmen war uns sehr wichtig.

Immer wieder melden sich Menschen zu Wort, die der Debatte um „Ost“ und „West“ überdrüssig sind. Warum ist sie trotzdem noch sinnvoll?

Heiner Müller spricht von „Narben ohne Wunden“ bezüglich des intergenerationalen Erbes, welches wir mit uns tragen. Die Aufgabe unserer Generation – Ost und West – ist die persönliche und gesellschaftliche Überwindung jeglichen Gefühls von „Fremdheit“ zueinander mit Hilfe der Aufarbeitung unserer Geschichte. Das haben unsere Eltern nicht in vollem Umfang geschafft.

Die Initiative will unterwegs mit der 3ten Generation Ostdeutscher ins Gespräch kommen. Welche Fragen brennen Euch auf der Zunge?

Uns interessiert grundsätzlich, Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges zu beflügeln: Wie hat die dritte Generation Ostdeutscher ihre Kindheit und Jugend in zwei Systemen erlebt? Wie steht es um die Ostdeutschen und Ostdeutschland heute? Wie können und wollen wir uns in zukünftige gesellschaftliche Herausforderungen aktiv einbringen mit unserer Transformationserfahrung?

Illustration: Alexander Fromm, Interview: Sabine Weier