23. Mai | 20:44 Uhr

Wendekind Ulrike Nimz, Jahrgang 1983, wuchs in Rostock auf, studierte Germanistik in Rostock und Journalistik in Leipzig. Heute ist sie Reporterin bei der Tageszeitung Freie Presse, arbeitet in Chemnitz und verbringt die Wochenenden in Leipzig. Sie begleitet die ersten Tourtage und berichtet aktuell.

Wie bist Du auf die 3te Generation Ost gestoßen?

Freunde haben mich ein paar Monate vor der Konferenz im vergangenen Jahr auf die Initiative aufmerksam gemacht. Den Gedanken dahinter konnte ich nachvollziehen: Die Generation der Wendekinder ist nie wirklich nach ihren DDR- und Umbruchserfahrungen gefragt worden. Auch die Auseinandersetzung mit der Eltern- oder Großelterngeneration hat in vielen Fällen kaum  stattgefunden.

Du bist für Deinen Job nach Chemnitz gegangen. Wie ist es dort?

Chemnitz ist eine Stadt mit vielen Problemen, die einem sicher nicht auf den ersten Blick sympathisch ist. Jena ist Boomtown, Leipzig und Dresden sind bunter und jünger. Rostock hat das Meer – Chemnitz hat vor allem einen schlechten Ruf, ist keine Stadt, in der sich die Kreativen nur so stapeln. Das hat aber auch Vorteile: Wer hier was anpackt, ist immer Avantgarde.

Als Journalistin schreibst Du auch über Engagierte und aufstrebende junge Menschen aus Chemnitz und Sachsen. Was machen die?

Ein Vorzeigebeispiel, das gerade bundesweit in den Medien stattfindet, ist die Chemnitzer Band Kraftklub, die streng genommen Teil eines kleinen aber feinen Netzwerks von Kreativen ist. Das gibt es in anderen Städten natürlich auch, aber ich glaube, dass hier der Zusammenhalt größer ist – wie das immer so ist, wenn man in einer feindlichen Umgebung überleben will. Ich bin immer wieder überrascht, wenn doch mal wieder eine kleine Bar in einem leerstehenden Haus eröffnet, oder so etwas. Das ist schon eine Leistung, denn Erfolgsgeschichten sind ziemlich rar in Chemnitz. Irgendjemand schreit immer Ruhestörung, alternative Projekte werden kritisch beäugt. Und doch haben junge Leute verstanden, dass man hier selber machen muss, wenn man etwas erleben will.

Was müsste denn in Städten wie Chemnitz passieren, damit die 3te Generation Ost da mehr bewegen kann?

Ich glaube, man müsste sie einfach mal machen lassen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es den Drang gibt, alles reglementieren zu wollen. Wenn etwas nicht ins Schema passt, Wächterhäuser, Volxküche, dann ist es suspekt. Gott sei Dank entstehen aber trotzdem immer wieder kleine urbane Inseln, initiiert von Leuten, denen Einkaufspassagen und noch ein Cineplex-Kino nicht reichen.

Du begleitest uns für ein paar Tage und berichtest von der Tour. Worauf freust Du Dich am meisten?

Ich finde die Führung in Zossen mit Swantje Tobiassen und Benno Plassmann spannend. Die beiden leiten dort ja ein von der Amadeu Antonio Stiftung initiiertes Projekt. Ich komme aus Mecklenburg-Vorpommern und weiß, wie wichtig Engagement gegen Rechts ist, gerade im ländlichen Raum, wo sich die etablierten Parteien längst zurückgezogen haben. Es ist schon komisch, wie allgegenwärtig das Thema Rechtsextremismus für uns Wendekinder ist. Wer in Rostock oder Chemnitz groß geworden ist, vielleicht bunte Haare hatte, weiß genau, welche Gegend man nachts besser meidet, und wann es Zeit wird, die Straßenseite zu wechseln. Das war und ist Alltag. Während des Studiums habe ich viele Leute aus den alten Bundesländern kennengelernt, die immer ganz erschrocken geguckt haben, wenn man das erzählt hat. Die kannten das aus ihren Dörfern nicht. Da bin ich schon ins Grübeln gekommen.

Illustration: Alexander Fromm, Interview: Sabine Weier