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Gastbeitrag: Auf Hawaii lernt Ina Young aus ihrer Kindheit in der DDR
– Von Ina Young –
Ich lebe in einer multikulturellen Gesellschaft in Honolulu, Hawaii. Ich spiele Orgel für japanische Hochzeiten und für Gottesdienste in einer Kirche, die direkt am Strand gebaut worden ist. Es ist immer warm, meine Kinder gehen manchmal barfuß zur Schule, Weihnachten kann man am Strand liegen, ein Inselparadies eben.
Doch auf den Straßen und an den Stränden von Hawaii leben Tausende von Obdachlosen. Unsere Kirchgemeinde sammelt Nahrungs- und Kleiderspenden für sie und für andere wenig verdienende Menschen der Insel.
Oft frage ich meinen Sohn, ob er nicht auch einige von seinen unzähligen Spielzeugen spenden will. Mein Sohn ist sechs Jahre alt und damit fast so alt wie ich war, als die Wiedervereinigung stattfand. Damals hatte ich noch nie einen obdachlosen Menschen gesehen. Ich weiß nicht wie ich ihm beibringen kann, überflüssige Spielsachen abzugeben. Wir hatten damals nicht so viele Spielsachen. Ich hatte damals auch keine Angst, dass meine Eltern ihre Arbeit verlieren könnten. Diese Angst ist heute schon bei meinem Sohn gegenwärtig.
Wie bin ich hier gelandet?
Ich bin 1982 in Rostock geboren. Ich hatte immer geplant, in der Nähe meiner Familie zu bleiben. Deshalb studierte ich auch im nahegelegenen Greifswald, und zwar Kirchenmusik.
Zum Studium gehörte nach dem Vordiplom ein Praktikum in einer Kirchgemeinde. Da ich in Greifswald schon in einer Kirche arbeitete, wollte ich das Praktikum nutzen, um eine wirklich andere Kultur kennenzulernen. Ich erhielt die Möglichkeit, nach Honolulu zu reisen und dort als Praktikantin in einer „United Church of Christ“ Orgel und Klavier zu spielen, den Chor zu leiten und Einblick in das Gemeindeleben zu nehmen.
Während dieser Zeit lernte ich eine ganz besondere Person kennen und für die zwei Jahre, die ich noch brauchte, um mein Studium in Greifswald zu beenden, mussten wir uns mit einer Fernbeziehung begnügen. Als ich mich für das K1 Visum bewarb, was damals neun Monate dauerte, fühlte ich mich oft, als wäre ich die einzige Person in der Welt, die auswandert. Ich dachte immer, es war ganz allein meine Entscheidung und etwas ganz Besonderes so weit weg zu ziehen. Erst jetzt, nachdem ich schon sechs Jahre hier gelebt habe, bin ich mir da gar nicht mehr so sicher. Nun, nachdem ich erfahren habe, wie viele von unserer Generation in andere Länder gegangen sind, dass es sogar ein Netzwerk “Third Generation Ost USA” gibt, frage ich mich, ob ich nicht auch einen inneren Drang hatte, weg zu gehen, ob ich nicht auf der gleichen Suche war wie viele von uns Wendekindern.
Und letztendlich war es für mich nicht so schwer in Hawaii noch einmal neu anzufangen. Übrigens ist der Dollar nun meine vierte Währung.
Hier in Honolulu wiederholt sich aber auch manches aus meiner Kindheit. Damit hatte ich nicht gerechnet:
Ich erinnere mich an Fahnenappelle in der Schule. Heute hat mein Sohn an jedem Freitag im Schulhof eine ähnliche Zeremonie, die sie “morning assembly” nennen. Es wird zusammen gesungen, Projekte werden vorgestellt und Auszeichnungen werden vergeben.
Vieles war in der DDR streng geregelt, so manches auch überwacht. In der Vorschule meines Sohnes erlebte ich, dass es nicht einfach ist, meinen Sohn einfach als „Mittagskind“ abzuholen, wie ich es früher sehr mochte. Das geht nur mit einem konkreten Grund, man bekommt sogar ein Begleitschreiben für den Fall, dass man nachweisen muss, warum das Kind nicht in der Einrichtung ist.
In meiner Kindheit umging man Richtlinien – so auch heute. Ich werde mich immer an die Erzählungen meiner Großeltern erinnern, wie in der DDR etwas durch den Zoll „geschmuggelt“ worden ist oder „unter dem Ladentisch“ verkauft wurde. Heute finden meine Kinder auch manchmal Überraschungseier in den Koffern der Besucher, obwohl die hier tatsächlich illegal sind.
Als Kinder sammelten wir Altpapier und Gläser. Ich konnte mir für eine große Gläsersammlung sogar eine Puppe kaufen. Die Kinder werden hier schon in der preschool angehalten, einmal in der Woche leere Büchsen und Flaschen mitzubringen, die dann recycelt werden. Dadurch kommt auch ein bisschen Geld für die Schule zusammen.
Gemeinschaft hatte damals einen großen Stellenwert. Hier habe ich eine Kirche gefunden, in der die Gemeinde wirklich füreinander sorgt. Wenn jemand krank ist, bringen Freunde Essen vorbei, man hilft einander selbstverständlich aus, man sorgt zusammen für die Kinder. Fast “sozialistisch”, denke ich dann manchmal. Denn ich glaube schon, dass wir auch so einiges von unserer Vergangenheit lernen können, was unserer kapitalistischen Welt heutzutage sehr helfen würde. Und ich finde es ist auch unsere Aufgabe, unseren Kindern davon zu erzählen.
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