6. Juni 2012 | 19:32 Uhr

 

Dr. Christoph Bergner, Beauftragter der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer, diskutiert am 7. Juni 2012 in Halle mit Vertretern der 3ten Generation Ost und Dr. Jutta Günther vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zur Frage: „Kann Ostdeutschland auch ohne Förderung?“. Im Interview haben wir schon mal vorgefühlt und auch nach den Erfahrungen der Familie Bergner gefragt.

Was gehört als Beauftragter für die Neuen Bundesländer zu Ihren Aufgaben?

Beauftragte gibt es für verschiedene Sachverhalte, die Rolle besteht darin, an allen Fragen und Entscheidungen der Bundesregierung, die diesen Sachverhalt betreffen, beteiligt zu sein. Also in meinem Fall an Entscheidungen, die eine besondere Relevanz für Ostdeutschland haben. Darüber hinaus habe ich regelmäßig den Bericht zur Deutschen Einheit für das Parlament vorzulegen und natürlich zu diskutieren. Und der Beauftragte für die Neuen Länder ist Ansprechpartner für die Anliegen der ostdeutschen Landesregierungen.

Sie befassen sich vor allem mit der wirtschaftlichen Entwicklung. In Sachen Wirtschaftskraft liegen die neuen Länder hinter den alten zurück, wird das so bleiben?

Die Frage der wirtschaftlichen Angleichung des Ostens an den Westen war und ist die Schlüsselfrage des Aufbaus Ost. In dieser Hinsicht haben wir in den zurückliegenden 22 Jahren sehr viel erreicht. Bei den letzten 20 Prozent Wirtschaftsrückstand stoßen wir an Grenzen, die strukturelle Ursachen haben. Im Osten fehlen die großen Konzernzentralen. Mit diesen Zentralen sind hochwertige Dienstleistungsaufträge sowie hohe Gewinn- und Einkommensabrechnungen verbunden, die sich in der Steuerkraft widerspiegeln – und nicht zuletzt auch die großen wirtschaftseigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen.

Auf der anderen Seite werden ja Konzerne und auch mittelständige Unternehmen in einigen Regionen langfristig Probleme haben, ihre Stellen zu besetzen. Viele junge Menschen verlassen ihre Heimatorte. Ist die „Vergreisung“ noch zu stoppen?

Das ist ein gesamtdeutsches Phänomen. Wir haben in ganz Deutschland keine nachhaltige Geburten- und Nachwuchsentwicklung. Dieser Effekt der Überalterung hat sich in ostdeutschen Ländern durch die Abwanderung der 1990er Jahre verstärkt, die Geburtenrate hat sich im Osten halbiert. Das verschärft im Durchschnitt die Verhältnisse in den neuen Ländern, aber auch innerhalb Ostdeutschlands gibt es enorme Unterschiede. Wir haben ja auch viele für die Jugend attraktive Standorte, dort stellt sich auch die Alterstruktur ganz anders dar. Wir müssen uns der gesamtdeutschen Herausforderung „Demografie“ stellen.

Müssen auch neue Konzepte zur Förderung der Immigration entwickelt werden?

Von der Zuwanderung nach Deutschland ist der Osten in den vergangenen Jahren vergleichsweise wenig betroffen gewesen. Selbst die Zuwanderung aus unseren östlichen Nachbarländern ist mehr in die Zentren des Westens gegangen. Aber prinzipiell glaube ich, gerade mit Blick auf die östlichen Nachbarn, sollten wir uns auf mehr Offenheit und Integration in den gesamteuropäischen Arbeitsmarkt einstellen.

Wo liegen die Stärken der Neuen Bundesländer?

Die Neuen Bundesländer weisen Besonderheiten auf, die gerade für junge Menschen attraktiv sind. Ostdeutschland ist von den Transformationsstaaten des Ostens nach 1990 die am weitesten fortgeschrittene Region, bei der die Strukturen, etwa die Rechtssicherheit und westeuropäische Standards, zuerst erreicht wurden. Aber sie sind natürlich gleichzeitig noch von den Transformationsereignissen gekennzeichnet, zum Beispiel in Wirtschaft oder Infrastruktur. Ostdeutschland ist die Transformationsregion mit den stärksten Fortschritten und deutlichsten Resultaten.

Sie haben selbst drei Kinder. Gehören sie zur dritten Generation Ostdeutscher, sind sie also ca. zwischen 1975 und 1985 geboren?

Jahrgang 79, 83 und 85 – das passt also genau.

Was hat die Wendeerfahrung und das Aufwachsen in „zwei verschiedenen Ländern“ ihnen aus Ihrer Sicht mitgegeben? Und: Ist das in der Familie Bergner Thema?

Ja, Thema ist das natürlich. Unsere Kinder nahmen aufmerksam Anteil, vor allem am Transformationsprozess, den wir – meine Frau als Stadträtin und ich im Landtag und später im Bundestag – zu bestehen hatten. Also Themen wie den Aufbau neuer Hierarchien an Schulen, Hochschulen, in Politik und im öffentlichen Leben. Aus der Elternperspektive fällt mir außerdem auf, dass die Erinnerung an die politische Situation in der DDR inzwischen mit einer gewissen spöttischen Distanz gesehen wird, jedenfalls frei von jeder Nostalgie. Als mal eine CD mit FDJ- und Pionierliedern kursierte, hörten unsere Kinder das eher so, als wäre das irgendeine Kabarettvorstellung. Ansonsten ist die Freiheit einer offenen Gesellschaft zur Selbstverständlichkeit geworden. Wir müssen dann schon manchmal nachfragen, ob sie denn nicht wüssten, was es bedeutet, ohne Grenzkontrollen durch Europa zu reisen, oder dass sie ihre Praktika in Afrika oder Papua Neuguinea machen können. Das war für uns natürlich unvorstellbar.

Illustration: Alexander Fromm, Interview: Sabine Weier