Vater: SambiaMutter: Deutschland

Interview mit BP

Konnten Sie problemlos Ärztin werden in der DDR?
Ja. Ich habe Medizin studiert, bin 1995 Fachärztin für Anästhesie geworden und habe mich noch auf Schmerztherapie spezialisiert. Ich hatte keine Probleme, meinen Traum zu verwirklichen – und ich war nicht in der Partei!

Waren Ihre Eltern in der Partei?
Nein, mein Vater kam aus Sambia. Er studierte in der Sowjetunion Medizin, war aber aus dem nichtsozialistischen Ausland. Meine Mama dagegen war so ein glühendes Fanal der Zukunft, wie sie selbst sagte. Sie war in der FDJ und wollte in die Partei eintreten, das hatte mit der Vorerfahrung ihrer Eltern zu tun: Ihr Vater, mein Großvater, war ein Widerstandskämpfer – in Brandenburg ist eine Straße nach ihm benannt worden – und ist in Frankreich gefallen. Er hat für seine Überzeugungen gekämpft. Trotzdem durfte meine Mama nicht in die Partei.

Welche Schwierigkeiten gab es da?
Meine Mama hat an Frieden und Völkerverständigung geglaubt. Doch als meine Eltern verlobt waren, hatte ihre Arbeitsstelle keine Verwendung mehr für sie als Dolmetscherin. Sie wurde auch nicht in die Partei aufgenommen. Viel später erfuhr sie aus ihrer Akte, dass sie nicht tragbar gewesen sei, weil sie mit einem Ausländer verlobt war. Meine Mama hat ein offenes Wesen, glaubt an das Gute. Und dann hat sie das erlebt. Sie ist auch Menschen begegnet, die vor ihr ausgespuckt haben. Unverheiratet und dann ein schwarzes Kind – sie wurde sogar aus ihrem engeren Umfeld gefragt, ob das denn unbedingt sein muss?

Und wie war es für Sie als dunkles Kind?
Ich war der einzige Mensch in der Stadt Brandenburg, der so anders aussah. Fünf Jahre später ist noch ein dunkles Mädchen geboren worden – wir hatten aber keinen Kontakt. Zum Glück wuchs ich in einer fürsorglichen Familie auf. Dazu gehört auch meine starke Großmutter. Ich wurde geliebt und auch ernst genommen. Ich bin ein Wunschkind, kein Zufall, kein Unfall. Und das ist auch ein Wort der Erwähnung wert: Respekt, was diese Frauen Mütter geleistet haben. Wie sie angefeindet wurden. Oder auch Dinge von ihren Kindern ferngehalten haben.

Gab es einen Unterschied, als Sie dann nach Berlin gezogen sind?
Ich ging von der 3. Klasse an auf eine musikorientierte Spezialschule und war im Rundfunk-Kinderchor. Wir waren fleißig, wir waren niedlich und durften beispielsweise zur Eröffnung des Palastes der Republik singen. Meine Kindheit war ziemlich fortschrittlich, gut organisiert – und behütet. Ich war auch Stimmgruppenführerin und durfte bei einem Appell die Fahne tragen. Da sagte dann eine aus dem Chor: „Na, aber sie ist ja nicht so typisch vom Aussehen.” Ich hatte das gar nicht als böse empfunden, denn es war ja eine zutreffende Feststellung, doch der Chorleiter sagte: „Nein, sie ist DDR-Bürger wie alle anderen. Und sie trägt die Fahne.”

Was ist denn für Sie typisch ostdeutsch?
Das „Wir”. Das Gruppengefühl ist für mich typisch ostdeutsch. Der Zusammenhalt und auch die, Unterordnung der persönlichen Interessen unter denen der Gruppe. Dennoch ist ostdeutsch ein komisches Wort, für mich klingt es nach westlicher Abwertung. Also ich war DDR-Bürger. Das ist für mich in Ordnung. Ich identifiziere mich voll mit meiner Ostherkunft.

Finden Sie, dass es einen typisch ostdeutschen Rassismus gibt?
Ja. Eines der großen Probleme in der DDR war, dass man den Leuten nicht zugetraut hat, dass sie irgendwo hingehen, da auch eine Weile sind und dann wieder zurückkommen. Und, dass man ihnen das Denken und Meinungsbilden nicht zugetraut hat. Diese Freiheiten gab es nicht. Die lange Sprachlosigkeit im Osten bewirkt, dass der Umgang mit einer offenen Gesellschaft noch immer gelernt werden muss. Es ist keine Gesprächskultur da. Zu allen Zeiten gab es Migration, sind Menschen losgewandert und haben sich woanders niedergelassen. Sichtbare ausländische Menschen kommen eben nicht nur „zu Besuch“ wie in der DDR, sondern kommen, um hier zu leben. Da fehlt manchen Leuten bis heute das Einsehen. Völkerfreundschaft war ja in der DDR nie die eigene Entscheidung – sondern wurde verordnet. Und so kippte nach der Wende die Art der Auseinandersetzung, und sie wird immer radikaler. Da mischen sich Wut, Unverständnis und, ja, auch Trauer. Da bricht sich die freie Meinungsäußerung auf eigenartige Weise Bahn. Das ist im Westen, glaube ich, anders. Obwohl da das Argument nun auch nicht Frieden und Völkerverständigung, sondern Wirtschaftswachstum ist.

Viele DDR-Bürger reisten damals nicht in die BRD aus, weil sie politisch verfolgt wurden, sondern weil sie ein besseres Leben haben wollten. Müssten nicht gerade DDR-Bürger da Verständnis für Migranten haben?
Genau das finde ich so verwerflich. Plötzlich sind so viele ausgereist, weil sie es angeblich in dem DDR-System nicht mehr ausgehalten haben. Was eben nicht stimmt. Ich kenne zwar auch Leute, die im Gefängnis waren wegen ihrer politischen Haltung – aber das war doch nicht das Gros.

Welche Zuschreibungen haben Sie schon wegen Ihrer Hautfarbe erlebt?
Ich habe vor zehn Jahren erlebt, dass Menschen meine Hautfarbe nicht sehen. Ich bin Ärztin und ein Patient war überzeugt, ich sei weiß und blond. Den Kontext, dass ich schwarz und Ärztin bin, bekam er womöglich einfach nicht zusammen. Auch das ist latenter Rassismus. Dass man davon ausgeht, dass ein Arzt weiß zu sein hat, zumindest im Krankenhaus in Brandenburg. Ich habe aber auch schon früher im Vorpraktikum erlebt, dass ich mal jemanden betten musste, der sagte: „Nimm deine schwarzen Hände von meiner weißen Bettdecke.” Also es gab nicht viele Varianten: Entweder er lässt mich machen oder er bleibt in seiner Scheiße. Die Kollegen von der Station waren da ziemlich aufgebracht.

Und abseits der Arbeit, im Alltag?
Ich bin zum Glück nie in bedrohliche Situationen geraten. Also ich bin nicht misshandelt oder angegriffen worden, wie das anderen das passiert ist. Mich hat keiner angespuckt. Da hatte ich Glück. Ich kenne das eher so verbal – auch damals in den Achtzigern im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, da habe ich öfter erlebt, dass Leute gesagt haben: „Gehen Sie dahin, wo Sie hergekommen sind. Und habe ich geantwortet: „Ja, mache ich, um 14 Uhr, eine Straße weiter.” Denn da wohnte ich. Ich kann damit umgehen und nehme mich nicht so wichtig. Anders war das, wenn ich mit meiner Mutter unterwegs war. Da habe ich mir gewünscht, dass mich keiner beschimpft – weil meine Mutter immer getroffen war und sich geärgert hat. Das hat mich eher belastet.

Lässt es sich heute unbehelligt in Brandenburg leben?
Hier gibt es auch farbige Menschen. Aber ich würde nicht weiter rein in die neuen Bundesländer ziehen. Es gibt Orte, da möchte ich nicht hin; also so schön es etwa am Fleesensee ist, das möchte ich nicht ausprobieren. Oder früher bin ich gern im Elbsandsteingebirge gewandert. Leider ist auch das tabu. Wir wohnen im Speckgürtel von Berlin. In der Schule meines Sohnes, wurden Deckchen gebastelt und ein Kind dekorierte die ganz selbstverständlich mit Hakenkreuzen. Das hat die Lehrerin beunruhigt, mich aber auch. Also alles, was noch nördlicher von uns liegt, meide ich. Meine Schwiegereltern etwa kommen aus Oranienburg, da fahre ich nur mit dem Auto in den Garten, gehe nicht in die Stadt. Man sieht es ja deutlich, wenn Wahlen sind: Hinter der Berliner Stadtgrenze ändern sich schlagartig die Plakate. Als mein Mann noch lebte, haben wir oft gesagt „weiter nördlich gibt es Regionen, da würden wir auch mit zwei platten Reifen durchfahren und auf keinen Fall anhalten“.

Worauf achten Sie, wenn Sie sich außerhalb bewegen?
Ich nutze keine öffentlichen Verkehrsmittel und achte auf die Uhrzeit. Und meine beiden Söhne mahne ich zur Vorsicht: „Setzt die Kopfhörer niemals auf beide Ohren, damit ihr alles aus der Umgebung hört. Und beobachtet die Leute.” Es wurden ja schon Leute aus der Bahn geschubst.

Gibt es bestimmte Orte, an denen Sie fest damit rechnen konnten, stigmatisiert zu werden?
Nein, der Ort ist überall. Deshalb plane ich auch Ausflüge durch. Wenn ich eine Freundin von mir in Rostock besuche, lasse ich von ihr alle Orte checken, zu denen wir wollen.

Und im Westen Deutschlands?
Zum Westen habe ich überhaupt keinen Bezug. Da bin ich naiv und fahre hin. Ich habe dort noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Aber das bedeutet nichts.

Wann waren Sie zum ersten Mal in Sambia?
Ich hatte mir das immer gewünscht, das war so ein Sehnsuchtsort für mich. Als ich 1990 mit dem Studium fertig war, war ja auch die Mauer weg. Da war ich das erste Mal im Land der Vorfahren, habe meinen Vater besucht und seine Familie kennengelernt und bin herzlich aufgenommen worden. Es gab einige Halbgeschwister. Niemand fand etwas komisch an mir, obwohl ich eine hellere Hautfarbe habe – ich gehörte eben dazu.

War das eine Enttäuschung oder eine Bereicherung?
Ich wollte gerne wissen, wer bin ich, wer meine Vorfahren sind. Meine Vorfahren wohnen mitten im Busch, in einer runden Hütte ohne Fenster, mit Grasdach und kochen über dem offenen Feuer. Die meisten können nicht lesen und nicht schreiben. Also dieses Gefühl, jetzt bin ich angekommen, hatte ich nicht. Aber ich empfand mein Leben als großes Glück: Ich war 25, war mit meinem künftigen Mann schon zusammen, hatte den Beruf, den ich wollte, eine Arbeitsstelle. Meine Omi lebte damals noch. Ich glaube, wenn ich früher dort hingefahren wäre, wäre ich vermutlich sehr enttäuscht und mein Traum zerstört gewesen. Aber das hatte ich nicht. Weil mein Leben woanders stattfand. Hingegen mein Vater, der Fünf-Sterne-Hotels gewöhnt war und einen hohen Lebensstandard hatte, wollte immer zurück. Das war immer seine Heimat. Er wusste immer, wer er war.

Was halten Sie vom korrekten Wording?
Ich kann mit dem Begriff Schwarze Deutsche nichts anfangen. Oder Afrodeutsche. Was soll das? Da werden Menschen auch Afrodeutsche genannt, die gar keine afrikanischen Wurzeln haben. Und überhaupt ist es anmaßend, dass sich ein Land so hoch wertet wie ein ganzer Kontinent. Anders ist das bei Afroamerikanern.

Und Afroeuropäer?
Afroeuropäer ist in Ordnung, wenn mich jemand fragt, bin ich Afroeuropäerin. Schon immer.

Glauben Sie, dass Geschichte sich wiederholen kann?
Ja, kann ich mir vorstellen. Da denke ich an „Das Schlangenei”, einen Film von Ingmar Bergman. Oder an „Hanussen“ mit Klaus Maria Brandauer. Wo den Menschen ihr Schicksal entglitten ist. Da haben mein Mann und ich uns gefragt, ob wir das rechtzeitig erkennen würden, wenn es hier eng wird? Und wir sagten uns, wir brauchen einen Plan B. Das war 1990. Der Moment, wo mein Mann angefangen hat, mir Schmuck zu schenken. Schmuck kann man auf einer Flucht mitnehmen. Und als wir da so brüteten, klingelte es an der Tür und meine Eltern standen davor; mein Vater war wieder aufgetaucht und drückte mir einen sambischen Pass in die Hand. Für alle Fälle. Und jetzt ist wieder so eine Zeit, wo keiner weiß, was Corona mit den Leuten macht. Ich würde mich ins Krankenhaus stellen und meine Arbeit machen, solange ich kann. Aber ich habe auch einen Koffer und ein Radio mit Batterie…

Und? Auch so etwas wie eine Schreckschusspistole?
Ja, habe ich. Die hat mein Mann gekauft nach der Wende, weil ich mich gefürchtet habe. Und ein Pfefferspray, was vermutlich nicht mehr sprüht. Das ist eben ein Arzthaushalt bei mir. Hier gibt es auch abgelaufene Medikamente und nicht mehr klebenden Pflaster …