Vater: NigeriaMutter: Deutschland

Interview mit BP

Sie waren ein braunes Kind und hatten eine weiße Halbschwester. Hat Ihre Mutter sie gleichbehandelt?
Nein. Für meine Mutter war ich schon ein Makel. Nach außen hin ist sie stolz mit mir umgegangen. Sie hat sehr darauf geachtet, was andere Leute im Dorf sagen. Aber zu Hause sah das anders aus. Sie hat ziemlich oft gesagt: „Ja, solche Kinder.” Oder: „Da war eine Frau, auch mit so einem Kind.” Also, das war für sie bis zu ihrem Tod ein Thema, dass ihr Kind nicht weiß war. Und ich habe Sätze gehört, wie: „Wenn du nicht gewesen wärst, hätte ich ganz andere Männer haben können.“ Meine Mutter hat allen Frust an mir ausgelassen, hat mich geschlagen, verbal und psychisch, gequält. Mein Stiefvater war der Einzige, der kein Thema aus meiner Hautfarbe gemacht hat. Ich war seine Tochter, und fertig. Der hat mich angenommen und kurz vor seinem Tod, da war ich dann 54, adoptiert.

Ihre Mutter machte Sie verantwortlich dafür, dass ihr Chancen verbaut wurden?
Erstmal das. Und zweitens war ich für sie eben das schwarze Kind. Zum Beispiel: Ich sitze in der Badewanne und habe dunkle Knie. Weil das einfach so ist. Und sie hat die dann geschrubbt bis zum geht-nicht-mehr, in der Meinung, die müssten doch endlich mal sauber werden.

Ihre Mutter hatte also gar kein Verständnis für die Hautfarbe?
Absolut nicht. Und als die Kinder anfingen, mich wegen der Hautfarbe zu hänseln oder zu verprügeln, sagte ich selber: „Mama, ich möchte blond sein.” Da hat sie geantwortet: „Dann können wir die Haare färben.” Dann habe ich gesagt: „Nein, meine Haut soll blond sein.”

Und wie ging Ihre Entwicklung weiter?
Ich habe die zehnte Klasse gemacht, sogar als Jahrgangsbeste. Habe dafür eine Auszeichnungsreise in die Sowjetunion bekommen; und habe dann ein Lehrerstudium begonnen: Unterstufenlehrer, Fachschule. Das habe ich eigentlich gemacht, um meiner Mutter zu gefallen. Einmal sagte ein Schüler: „Die Negerin da vorne hat uns gar nichts zu sagen!” Solchen Dingen wollte ich mich nicht länger aussetzen. Ich habe das Studium abgebrochen. Ich bin dann als Sängerin durch die DDR getingelt, hatte eine Einstufung mit einer Band gemacht, um offiziell auftreten zu dürfen. Und ich lebte endlich in Berlin.  Da war alles ein bisschen anders, da gab es plötzlich etliche Afro-Deutsche. Das fand ich richtig cool. Da begann mein neues Leben.

Hatten Sie eigentlich Vorbilder?
Aus dem unmittelbaren Umfeld gab es keine Identifikationsfiguren. Die Unabhängigkeit als Frau wurde mir eher von der Gesellschaft vermittelt. Meine Oma habe ich zwar geliebt, aber mein erstes Vorbild war natürlich Angela Davis. Und in der Schulzeit habe ich mir alle Artikel über schwarze Menschen ausgeschnitten, habe mich mit Black Music identifiziert, also R ‘n’ B und Soul und viel afro-amerikanische Literatur gelesen. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, weil meine Intention war, irgendwann nach meinem Vater zu suchen.

Wie oft waren Sie dann im Lande Ihres Vaters, in Nigeria?
Ich habe vor der Wende geheiratet, um ausreisen zu können. Nicht, weil ich die DDR schrecklich fand, sondern weil ich sonst keine Möglichkeit gehabt hätte, meinen Vater zu suchen. Nach der Wende war ich zweimal in Afrika.

Und wie waren diese Reisen?
Erst einmal war es enttäuschend, da mein Vater schon tot war. Er ist 1988 verstorben. Und dann war da eine große Familie: Vier Brüder, vier Schwestern und eine Stiefmutter, die mich alle herzlich aufgenommen haben, das war schon okay. Aber die nächste Enttäuschung kam, als ich feststellte, dass ich auch da nicht zu Hause bin. Da haben sie auf der Straße mit dem Finger auf mich gezeigt. Da war ich die Weiße.

Hatten Sie das Gefühl, sich entscheiden zu müssen, wer Sie sind?
Meine Identifikation ist klar Deutsch. Egal, ob ich nach New York fahre, nach Afrika oder hier bin: Ich bin Deutsch sozialisiert. Ich muss mich aber immer erklären. Wenn ich sage „Ich bin in Frankfurt/Oder geboren” gibt es diese Reaktionen „Aha, so etwas gab es im Osten auch?” Also dieses ständige Erklären…
Ein anderes Beispiel: Nach der Wende habe ich im Senat gearbeitet. Und die Kollegen aus dem Westteil der Stadt haben mich oft zur Seite genommen und gesagt: „Sag mal, gehen dir die Ostdeutschen auch so auf den Sack? Die sind doch so jammerig!” Dann habe ich die angeguckt und habe gesagt: „Wieso? Bin ich jammerig?” Mein Spruch war immer: „Ich bin offenbar dreifach gestraft. Ich bin Frau. Ich bin schwarz. Und ich bin Ossi.”

Wie lief es in Ihrem Privatleben?
Ich hatte auch in der DDR erstmal nur deutsche Freunde. Meine Mutter aber hat zu mir gesagt: „Die Typen wollen sowieso alle nur mit dir ins Bett. Oder meinst du, irgendwer stellt dich seinen Eltern vor?” Und ich habe mir dann gezielt, um zur Frau zu werden, einen Afrikaner ausgesucht. Ich hatte so eine Phase, wo ich gesagt habe, ich will nichts mehr mit Weißen zu tun haben. Ich habe später dann auch gelernt, zu differenzieren.

Würden Sie überall wohnen können im Osten Deutschlands?
Nein. Im Osten mache ich nicht mal mehr Urlaub. Nach Berlin-Hellersdorf, Marzahn, Hohenschönhausen oder Lichtenberg würde ich nicht mal zu Besuch gehen. Gleich nach der Wende habe ich mir extra ein Auto gekauft, um meine Eltern besuchen zu können. Weil ich Angst hatte mit der S-Bahn die Strecke durch Marzahn zu fahren: Ich hatte da mehrere Vorfälle erlebt; üble Pöbeleien.

Haben Sie auch mal Beistand oder Zivilcourage erlebt?
Nein.

Gibt es im Westen einen Bezirk, in den Sie nicht ziehen würden?
Neukölln. Da habe ich im Jobcenter gearbeitet. Das ist das andere Extrem. Da hat mich ein Marokkaner, als „Scheiß-N—-“, „Scheiß Ausländer” beschimpft. Woraufhin er dann eine Anzeige von meinem Arbeitgeber bekam und es zur Gerichtsverhandlung kam. Er ist dann verurteilt worden: Geldstrafe oder Haft. Daraufhin kam er postwendend wieder zu uns, legte das Gerichtsurteil hin und sagte, „Hier, wegen euch.” Er wollte vom Jobcenter ein Darlehen.

Sie haben Rassismus also auch durch Nicht-Deutsche erfahren?
Ja. Für einige Kunden war ich „nur“ ein Mischling. Oder andere sagten: „Du bist gerade selber hier eingeflogen und machst jetzt den dicken Max.”  Dann wurde ich von Nicht-Deutschen als Rassist beschimpft. Eine bestimmte Gruppe von Menschen schwingt die Rassismuskeule sehr gerne und sehr schnell. Das ist wie eine Waffe, die nach Belieben geladen wird.

Wo fängt Rassismus für Sie an?
Für mich fängt Rassismus an, wenn mich völlig fremde Menschen fragen: „Woher kommen Sie?”. Und wenn man dann freundlich sagt, „Aus Berlin”, und die Antwort lautet dann: „Nein, ich meine jetzt, so richtig!” – das ist für mich rassistisch.

War der Rassismus im Osten ein anderer?
Ich finde schon. Nach der Wende wurde der Rassismus offener, die Hemmschwellen wurden niedriger. Die Leute haben Rassismus offener – gerade durch die Rechtsradikalen – ausgelebt und zur Schau gestellt. Ich denke, dahinter steckt eine Angst der Menschen: Sie hatten in der DDR fast null Berührung mit Ausländern, hatten kaum Chancen, Leute aus anderen Kulturen kennenzulernen. Die lebten ja in Wohnheimen und waren gettoisiert. DDR-Bürger wussten lediglich: Die Ausländer gingen wieder nach Hause. Die waren „nur zu Gast“. Aber nach der Wende, sind die Fremden plötzlich geblieben. Zumindest da waren die Menschen im Westteil weiter. Die hatten das schon immer. Da waren die stationierten US-Amerikaner, die Gastarbeiter. Da gab es mehr oder weniger ein Zusammenleben.

Und die Rassismus-Debatten in Ost und West – werden sie gleichberechtigt geführt?
Nein. Vor allem nehme ich in solchen Debatten – egal, ob Ost oder West – kaum Schwarze wahr.

Wie finden Sie die Präsenz von beispielweise schwarzen Menschen in den Medien?
Unterrepräsentiert in Filmen, ein paar beim Frühstücksfernsehen – da ist noch lange keine Normalität da. Nur die Werbung identifiziert die Deutschen nicht zwingend als Weiße, Blonde. Die DAK hat zum Beispiel diese Plakat-Aktion gemacht mit einer weißen Frau und einem schwarzen Mann, und wurde dafür angefeindet. Das ist also immer noch nicht selbstverständlich. Aber die DAK hat die Werbung – trotz Anfeindungen – niemals zurückgezogen.

Was halten Sie von political correctness?
Ich merke das im Umgang mit meinen Kollegen. „Ach Gott, wie kann man denn jetzt zu dir sagen?” Ich sage, „Naja, ich habe einen Namen.”