10. Juni 2012 | 12:19 Uhr

 

Nach zehn Tagen kommen wir mit muffelnden Koffern und leicht apathischem Lächeln an: Tourabschluss mit Resümee, Lesungen und dem ersten EM-Spiel der deutschen Nationalmannschaft. Mitten im Wald nahe Potsdam genießen wir im Forsthaus Nordtor noch einmal eine wunderschöne sattgrüne Kulisse, bevor wir wehmütig die pinken Buchstaben der Beklebung „3te Generation Ostdeutschland“ vom Bus abziehen und Jens Försterling uns wieder in Berlin und im Alltag absetzt. „Ich hoffe, ihr werdet mit eurem Projekt noch viel bewegen. Ach, das wird schon komisch, wenn ich morgen mit einer Schulklasse losfahre und neben mir kein Kameramann mehr sitzt,“ sagt er. Wir sind gerührt.

Neben den Einblicken, die Autorin und Wendekind Andrea Hannah Hünninger uns in ihre Weimarer Kindheit gibt, wartet in Potsdam ein weiteres Highlight auf uns: Albrecht Gerber, Chef der Staatskanzlei des Landes Brandenburg, überreicht uns einen Preis für die Initiative als beispielhaftes Demografie-Projekt. In seiner Rede geht er auf Schlagwörter ein, die ihn im Tourprogramm bewegt haben: Der selbstbewusste Titel „Teil der Lösung!“ unseres Auftakts in Schwedt, die mehrdeutige Wendung „Losmachen!“, mit der wir unsere Tour überschrieben haben, und das Motto „Hiergeblieben?!“ unseres Abends in Mittelherwigsdorf. Gerber fügte alles in einem griffigen Plädoyer zusammen: „Ihr seid Teil der Lösung, macht weiter was los und bleibt hier!“

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Schon am Tag davor, bei unserem Einzug in die Lutherstadt Wittenberg, war die Sonne endlich durch die Wolken gebrochen. Vorbei an Gauklern, Pfaffen und Mägden schlängelte sich unser Tross zur Evangelischen Akademie direkt neben der berüchtigten Schlosskirche. Die Stadt bereitete sich geschäftig auf das große Ereignis vor, das seit 1989 jedes Jahr Besucher aus der ganzen Welt anzieht: Am Wochenende feierte ganz Wittenberg Luthers Hochzeit mit der aus dem Kloster entflohenen Nonne Katharina von Bora. Überall duftete es schon nach Bratwurst, die Bierfässer wurden angezapft, auf den Bühnen in den mittelalterlichen Höfen lief der Soundcheck.

Wir trafen uns währenddessen mit Jugendlichen, arbeiteten in Workshops ihre Wünsche für die Zukunft heraus und fragten, was sich ändern müsse, damit sie bleiben – eine Frage, die uns auf der ganzen Tour von Schwedt bis nach Potsdam begleitete. Und auch in Wittenberg lautete das Ergebnis: Endlich höhere Gehälter und Löhne in den Neuen Bundesländern, bessere Jobperspektiven und mehr kulturelle Vielfalt, also mehr Freizeitprogramm für die Jugend und auch interkulturelle Angebote. Bevor wir uns ins mittelalterliche Getümmel stürzten, zogen wir geschlossen vor die „Thesentür“ um die Ecke, wo die Wittenberger Schüler ihre Forderungen aufmerksamkeitsstark proklamierten.

„Leuchtgestalten“ hinterließen Eindruck

Beim Frühstück in Wittenberg, kurz bevor unser Bus das letzte Ziel ansteuerte, zogen wir schon mal ein kurzes Fazit. Das war nicht leicht, schließlich sollten es am Ende über 1.900 Kilometer sein, die wir gemeinsam zurückgelegt haben. Was waren unsere bemerkenswertesten Erkenntnisse? Die vielen jungen Engagierten überall haben uns motiviert und inspiriert, Marie Landsberg findet ein schönes Bild für sie: „Leuchtgestalten“, die selbst in finsteren Umgebungen Strahlkraft entfalten. Und neben der Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR, etwa in der Gedenkstätte Bautzen oder auf der Leuchtenburg, bleibt uns der überall geäußerte Wunsch, die europäische Perspektive und den Austausch mit den osteuropäischen Ländern zu stärken, im Gedächtnis.

Die Oberlausitz und das Erzgebirge haben die stärksten Eindrücke hinterlassen, da waren sich viele einig. Maria Wiesner von der FAS hatte den richtigen Riecher, als sie mit Schlafsack in Bus und Abenteuer einstieg, um in der Kulturfabrik Mittelherwigsdorf und in den Sommerzelten hoch oben auf der Bergwiese von Pobershau unter strahlendem Vollmond mit uns zu übernachten. Ihre Reportage ist heute pünktlich am ersten Tag nach der Tour in der Zeitung.

Die Eindrücke müssen sich jetzt erst einmal setzen, die Ergebnisse der vielen Podiumsdiskussionen, Lesungen, Workshops, Hintergrund-, Markplatz- und Lagerfeuergespräche resümiert und die neuen Kontakte zusammengetragen werden. Da machen wir mehr draus! Eines stand am Ende längst fest: Der Mannschaftsgeist stimmte, das Durchhalten hat sich gelohnt und die Tour war – wenn auch nicht immer einfach – am Ende ein Erfolg. Und eigentlich ist das Ende auch kein Ende, sondern ein Anfang. Wie das 1:0 gegen Portugal an diesem Abend.


Fotos und Text: Sabine Weier