27. Mai 2012 | 12:38 Uhr

 

Gleich zum Tourauftakt am 30. Mai in Schwedt geht es mit Biografieworkshops zur Sache – eine Erfindung der Sozialpädagogin Juliane Cieslack, Wendekind Jahrgang 1982. Sie wuchs in Seifhennersdorf in der Oberlausitz im Dreiländereck Deutschland, Polen, Tschechien auf, studierte Soziologie, Politikwissenschaften und Slawistik in Potsdam, sattelte dann auf Sozialpädagogik um. In Potsdam lebt und arbeitet sie immer noch.

Was hat Dich zu den Biografieworkshops inspiriert?

Die Idee kam bei der Konferenz der 3ten Generation Ost im letzten Jahr auf, wo es ja auch diese „Murmelgruppen“ zur Vergangenheit gab. Ich habe gemerkt, dass das Interesse an der Aufarbeitung der eigenen Biografie groß ist. Mit dem Thema Ost und West hatte ich mich schon länger und in verschiedenen Formaten beschäftigt. Die Biografieworkshops führe ich zusammen mit Paula Hannaske durch.

Und wie läuft das ab?

In einem Workshop sind meist sechs bis acht Teilnehmer. Es gibt „Zuhöraustausche“ in Zweiergruppen, bei denen es um eine bestimmte Frage geht. Einer erzählt, der andere hört ganz ohne Kommentare zu. Fragen können zum Beispiel sein: „Wie hast du die Wendezeit erlebt?“, „Wie ist es so in Deinem Heimatort?“ oder „Wie war die Schule für dich?“. Danach kann jeder in der Runde von seinen Erfahrungen berichten. Meist entdeckt man viele Gemeinsamkeiten oder erinnert sich an Sachen, an die man schon lange nicht mehr gedacht hat. Ein bisschen erobert man so seine eigene Vergangenheit für sich zurück.

Wahrscheinlich entdecken die Teilnehmer beim Eintauchen in ihre Biografien viele Gemeinsamkeiten …

Klar. Die Wende war natürlich für alle ein einschneidendes Erlebnis – ob positiv oder negativ. Wir haben alle nichts oder nicht viel von unseren Eltern erklärt bekommen, denn die waren ja erstmal mit sich selbst beschäftigt. Die Schule änderte sich für alle von heute auf morgen, ein ziemliches Chaos. Der Systemwechsel hatte tiefgehende Auswirkungen auf Familien, Gefühle von Angst und Unsicherheit waren für viele Alltag.

Ist die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie ein dringendes Bedürfnis der dritten Generation Ostdeutscher?

Für viele, aber nicht für alle. Manche graben nicht so gerne in der Vergangenheit herum. Aber es soll ja darum gehen, einen Teil seines eigenen Lebens zu erschließen und zurückzuerobern. Nach der Wende mussten wir uns sofort assimilieren. Jetzt können wir damit beginnen zu fragen: Was haben wir eigentlich erlebt? Wie sind wir aufgewachsen? Welche positiven Erinnerungen haben wir? Welche negativen? Was fühlen wir zu bestimmten Themen? Wie wollen wir jetzt leben? Ich denke, dass die Auseinandersetzung mit der DDR für uns leichter ist, als für die erste oder die zweite Generation. Für unsere Zukunft liegen darin echte Chancen.

Du begleitest die gesamte Tour. Worauf freust Du Dich besonders?

Natürlich auf die Biografieworkshops in Schwedt und Schwerin, darauf, interessierte Leute in ganz Ostdeutschland kennenzulernen, und auf den Austausch mit den anderen.

Illustration: Alexander Fromm, Interview: Sabine Weier