Anne Tischer hat am Generationsgipfel in Leipzig teilgenommen. Thematisiert wurden die Zukunft Ost und die Fragen nach neuer Arbeit, neuen Chef:innen und neuen Narrativen. Im Open Space wurden u.a. Elitenetzwerke für Ostdeutsche, Erfahrungsvorsprünge von ostdeutschen Frauen und die Sichtbarmachung von Vorbildern diskutiert. Im Nachgang hat Anne diesen Beitrag auf LinkedIn veröffentlicht.
“Was, du kommst aus dem Osten?! Das merkt man dir ja gar nicht an…“ Ein echter Klassiker in Gesprächen von #Ostdeutschen meiner Generation mit Leuten, die im Westen geboren und aufgewachsen sind.
Ich finde, es ist Zeit, das Bild und die Rolle der Ostdeutschen in unserem Land neu zu definieren. Rauszukommen aus der Defensive und sichtbarer zu werden, mit unseren Geschichten und Erfahrungen, als Vorbilder und als Entscheider*innen in unserem Land. Der große Umbruch durch die Wende, den knapp 2,5 Millionen in der DDR Geborene als Kind oder Jugendliche erlebt haben, hat die Dritte Generation Ost geprägt und sie Führungsstärken entwickeln lassen, die an der Spitze von Unternehmen, in der Politik, an Hochschulen und in den Medien dringend gebraucht werden. Überall dort, wo Ostdeutsche auch über 30 Jahre nach der Einheit immer noch krass unterrepräsentiert sind: So sind nur 1% der Vorstandsposten im DAX mit Ostdeutschen besetzt. In den Rektoraten der 100 größten Hochschulen Deutschlands gibt es nur eine einzige Ostdeutsche, Gesine Grande an der BTU Cottbus-Senftenberg. Und nur 5 % der Richter*innen an Bundesgerichten sind aus dem Osten. Allen Wissens um die Vorteile von Diversität in Führungsteams zum Trotz entscheidet über einen Spitzenjob in Deutschland nicht die individuelle Kompetenz und Erfahrung, sondern die Herkunft, die Netzwerke und das Studium im Westen. Mehr aktuelle Zahlen dazu in der Studie „Der lange Weg nach oben – Wie es Ostdeutsche in die Eliten schaffen“.
Dabei bringt die Dritte Generation Ost genau die Führungskompetenzen mit, die händeringend gesucht werden, um Unternehmen flexibler, resilienter und attraktiver für Talente zu machen:
1. Erfahrungen mit Change und Transformation
Mit der Wende war quasi über Nacht alles anders: Währung, Rechtssystem, Arbeitsmarkt, Lehrpläne und Benotung in den Schulen, die Produkte, die es in den Läden zu kaufen gab. Viele Eltern verloren ihre Jobs und wurden erstmal arbeitslos. Auf wackligem Boden und ohne die Netzwerke, das Vermögen und die Erfahrungswerte unserer Eltern und Familien hat sich meine Generation in einer komplett neuen Umgebung zurechtgefunden und ist ihren Weg gegangen. Was wir dabei gelernt haben: unser Umfeld genau zu beobachten und in komplexen, oft unübersichtlichen Gemengelagen gut abgewogene Entscheidungen zu treffen.
2. Zeitgemäße Führung
Der Umbruch der Wende und die Kindheit in der DDR hat uns gut darin gemacht, Beziehungen aufzubauen. Dabei geholfen hat uns, offen, nahbar und authentisch zu sein und eher darauf zu schauen, was uns mit anderen und als Gruppe verbindet und worauf sich gemeinsam aufbauen lässt. Anspruchshaltung, Silodenken und große Egos hingegen, die in vielen Unternehmen Probleme machen, sind den Ostdeutschen meiner Generation fremd. Wir konnten sie uns gar nicht leisten.
3. Ein selbstverständlicher Umgang mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Zur Wende waren 92 % der Frauen berufstätig, die allermeisten in Vollzeit (im Westen nur 51 %). Dieses Rollenbild hat meine Generation bei den Entscheidungen rund um Karriere und Kinder geprägt. Auch heute ist die Erwerbstätigkeit von Frauen und Müttern im Osten deutlich höher und der Gender-Pay-Gap geringer als im Westen. Sehr empfehlenswert hierzu, die Doku „Her Story“ über Frauen und den Mauerfal
Danke an das Netzwerk 3te Generation Ost – Nicht ohne uns. das die Stimmen unserer Generation sichtbar macht, um ihren Einfluss in unserem Land zu stärken.
Anne Tischer, geboren 1978 in Ost-Berlin, ist Innovatorin, Netzwerkerin, Unternehmerin und Mutter. Ihre Mission: eine menschlichere und inklusive Arbeitswelt durch mehr Frauen und mehr Vielfalt in den Führungsebenen der Unternehmen. Anne ist Gründerin und Vorsitzende der 2019 gegründeten Brancheninitiative FRAUEN !N FÜHRUNG (F!F), die sich für mehr Frauen in Führungspositionen der deutschen Immobilienwirtschaft einsetzt. Mit ihrer Kommunikationsberatung Karma she said GmbH berät sie Unternehmen und Organisationen rund um Diversität & Inklusion, werteorientiertes Management und Markenpositionierung. Anne war über 15 Jahre als Pressesprecherin und Marketingexpertin in Immobilienunternehmen sowie in Politik und Stiftungen tätig. Sie ist außerdem Jurymitglied des Next-Gen-Netzwerks MAT (Top 30 unter 30).