7. Juni 2012 | 17:53 Uhr

 

Ein Mobiltelefon nach dem anderen meldet tschechisches Netz, Alexander Fromm pfeift Gruselmelodien durchs Busmikrofon, links und rechts zieht der dunkle Wald vorbei und auf dem Busthermometer beobachten wir beunruhigt, wie die Temperatur Grad um Grad abfällt. Wir sind im Erzgebirge. Auf der Naturschutzstation Pobershau werden wir in „Sommerzelten“ schlafen, droht der Tourplan. Kay Meister begrüßt uns. Er trägt Filzhut und Vollbart, ist der einzige Grüne auf weiter Flur – bei der lokalen Bevölkerung stößt er auf Vorurteile, erzählt er uns später beim gemeinsamen Abendessen. Er hat in Jena Biologie studiert und dort noch ein paar Jahre gelebt. Nach zehn Jahren zog es ihn aber wieder in seine schöne Heimat, wo er als Lehrer arbeitet und die Vielfalt der Flora und Fauna erforscht. Was die Natur angeht: ein Paradies.

Aus dem in Rübenau angesiedelten Sägewerk kommen die Arbeiter mit 700 Euro nach Hause, viele Einwohner sind auf Hartz IV, darunter auch Jugendliche ohne Schulabschluss. Für die 950 Einwohner stehen drei Altersheime bereit. Noch nicht einmal in den lokalen Kneipen sei mehr etwas los, man trinke sein Bier am liebsten vor dem Fernseher. Plastikflasche und Digital-TV. Uff! Ein düsteres Bild zeichnet sich, als wir selbstgemachte Kräuterlimonade im Haus der Kammbegegnung trinken. Der frisch zertifizierte Qualitätswanderweg scheint der einzige Lichtblick über der atemberaubenden Landschaft um Rübenau zu sein – der verspricht mehr Touristen.

Kay führt uns über die blühende Bergwiese, lässt uns wilde Kräuter probieren und erzählt uns von seinen Projekten. Er hat zusammen mit Babette Schreiter den Naturschutzverein „Natura Miriquidia“ gegründet, engagiert sich für eine deutsch-tschechische Kita und bietet Schülerfreizeiten an – dafür sucht er übrigens immer wieder interessierte junge Leute, die für ein paar Wochen im Sommer mitmachen. Wir sind restlos begeistert. Doch auch Kay wird seine Heimat wohl wieder verlassen, sagt er, wenn seine Kinder ins Schulalter kommen.

Blogfoto 8

München des Ostens?

Nach einer Nacht mit Bodenfrost steigen wir wieder in den Bus. Und spannen den größten Bogen der gesamten Tour. Im florierenden Jena treffen wir uns mit der Dezernentin für Stadtentwicklung Katrin Schwarz, weiteren Politikern und Gründern, und fragen, was andere ostdeutsche Städte von Jena lernen können. Schon der massive Berufsverkehr, die vielen Studenten und interessierten jungen Menschen, die wir auf dem Marktplatz treffen, signalisieren: Hier ist richtig was los. Paradiesisch?

„Wissenschaft und Wirtschaft” lautet das Erfolgsrezept der Stadt. Absolventen werden zu Unternehmern und bleiben in Jena. Am Abend geht es im Volksbad dann auch vor allem um die „Luxusprobleme“ der Stadt, die von allen Seiten neidisch beäugt wird. Jena muss dringend Wohnraum schaffen, erklären die Podiumsgäste. Und Jena soll nicht das München des Ostens werden, da ist man sich in der schwarz-rot-grünen Koalition und auch darüber hinaus einig. Die Einkommenssituation in Jena sei aber ohnehin eine ganz andere als in München, merkt noch jemand an.

Der junge Martin Michel von der Partei „Die Guten“ findet dann doch noch ein Haar in der Suppe: Da Jena kaum Leerstand habe, sei es nicht attraktiv für Künstler und Kreative, die Szene wandert nach Dresden, Leipzig und Berlin ab. Auch aus dem Publikum meldet sich jemand zu Wort: Neuer Wohnraum entlaste nur kurzfristig, Elitenbildung und Segregationsprozesse seien vorprogrammiert, das mache Jena unattraktiv, wer wolle dann noch hier wohnen?

Friede, Freude, Eierkuchen ist eben doch nicht überall. Umso schöner ist es, dass wir überall auf junge Leute treffen, die etwas anpacken – egal ob in einem abgelegen Ort in den Bergen oder in einer boomenden Stadt in bester mitteldeutscher Lage wie Jena. Auch in Halle, wo wir am nächsten Tag Vertreter von Attack, Greenpeace, den Heldentagen, dem Preißnitzhaus e.V., der Bürgerstiftung und der Universität kennenlernen, treffen wir auf Pragmatismus und Mut. Ist es das, was die dritte Generation Ostdeutscher ausmacht? Wir bleiben dran.

Fotos und Text: Sabine Weier