FOTO: Ronny Keller

Aufgewachsen in zwei Kulturen

Netzwerk 3te Generation Ostdeutschland in Mecklenburg-Vorpommern aktiv

- Interview mit Adriana Lettrari -

Die zwischen 1975 und 1985 in der DDR geborenen Menschen zusammenzubringen und sichtbar zu machen, ist die Idee des Netzwerkes „3te Generation Ostdeutschland“, eine Initiative, die 2010 von neun engagierten Menschen gegründet wurde. Eine der Initiatorinnen war und ist Adriana Lettrari, geboren in Neustrelitz und aufgewachsen in Rostock. Sie fragte sich, warum der Osten, seine Geschichte und seine Zukunft fast ausschließlich von Männern im fortgeschrittenen Alter wie Wolfgang Thierse oder Gregor Gysi vertreten werden. Mittlerweile sind etwa 2.000 Menschen mit dem Netzwerk verbunden – Tendenz steigend. In Mecklenburg-Vorpommern wurde im Juni 2013 ein Regionalnetzwerk gegründet. Gerade wegen eines hohen Durchschnittsalters der hiesigen Bevölkerung sowie einer großen Abwanderung der Dritten Generation Ostdeutschland in den letzten zwanzig Jahren sehen es die Akteure umso notwendiger an, dass sich die Dritte Generation in Mecklenburg-Vorpommern mit den Dagebliebenen, Abgewanderten, Zurückgekommenen aber auch Zugewanderten als die zukünftigen Gestalterinnen und Gestalter des Bundeslandes begreift.

Alles-mv.de wird ab sofort jeden Monat einen Gastbeitrag aus dem Regionalnetzwerk “3te Generation Ostdeutschland” veröffentlichen. Den Auftakt macht Adriana Lettrari, die Fragen zur Arbeit des Netzwerkes beantwortet.

Alles-mv.de: Wer genau verbirgt sich hinter der Dritten Generation Ostdeutschland?

Adriana Lettrari: Zu dieser Generation zählen alle, die nach der Wende im vereinten Deutschland aufgewachsen sind, aber ihre Kindheit oder zumindest Teile davon in der DDR verlebt haben. Es geht um 2,4 Millionen Menschen der Jahrgänge 1975 bis 1985, die heute 29 bis 39 Jahre alt sind. Viele von ihnen haben ihre Herkunftsorte verlassen. Weil sie das selbst entschieden haben oder weil sie mit ihren Eltern weggezogen sind. Sie leben in Westdeutschland, aber auch in der Schweiz oder in den USA.

Warum ist es heute – fast 25 Jahre nach dem Fall der Mauer – wichtig, sich mit der Vergangenheit zu befassen?

Die Dritte Generation Ost ist im Kindes- und Jugendalter in zwei Kulturen aufgewachsen – ähnlich wie Diplomatenkinder, die sich ökonomisch und gesellschaftlich kaum diametraler hätten gegenüber stehen können. Nach der Wende war das gesamte Umfeld von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt. Wir mussten uns in einer komplett neuen Gesellschaft mit einer vollständig neuen Werte- und Handlungsorientierung zurechtfinden. Dafür gab es keine Anleitung, wir haben es einfach getan. Und bislang wurde auch kaum darüber gesprochen. Es gibt jedoch ein großes Bedürfnis, sich mit diesem Teil der eigenen Biografie auseinanderzusetzen. Das haben wir gemerkt, als wir vor vier Jahren mit der Netzwerkarbeit begonnen haben.

Warum wurde die Vergangenheit so lange ausgeblendet?

Viele Wendekinder distanzieren sich – ob bewusst oder unbewusst – von ihrer Herkunft. Sie schieben das Thema von sich weg. Unserer Ansicht nach liegt das zu einem großen Teil daran, dass es gesellschaftlich nur sehr wenig Raum gibt, sich damit auseinandersetzen. Häufig wird uns sogar abgesprochen, dass diese Vergangenheit noch eine Rolle spielen würde, wir seien doch „westdeutsche Kinder“. Aber das ist Unsinn. Unsere Eltern, die in der DDR sozialisiert sind, sind ja unsere Eltern geblieben. Sie sind natürlich auch durch einen Wandlungsprozess gegangen. Aber der war ja nicht am 9. November 1989 abgeschlossen und uns wurden nicht von einem Tag auf den anderen völlig andere Dinge vermittelt.

Was kann man als Wendekind aus der Beschäftigung mit der eigenen Biografie lernen?

Wir beschäftigen uns damit, dass wir in sehr kurzer Zeit einen sehr einschneidenden Wandel bewältigt haben. Wir fragen uns: Wie habe ich das erlebt? Was hat es für mich und mein Leben bedeutet? Wie fremd- oder selbstbestimmt habe ich mich dabei entwickeln können?

Wir gehen davon aus, dass es so etwas wie eine Transformationskompetenz gibt. Sie entsteht dadurch, dass man die eigene Erfahrung reflektiert und daraus Handwerkszeug ableitet. Um solche Erkenntnisse zu fördern, haben Sie mit anderen Personen das „Netzwerk 3te Generation Ostdeutschland“ gegründet. Wie kann man Mitglied im Netzwerk werden? Braucht es hierfür gewisse Voraussetzungen?

Teilhaben am Netzwerk können grundsätzlich alle interessierten Personen, Projektteams und Organisationen. Diese können entweder ein Projekt bearbeiten oder sich als Kooperationspartner anbieten. Wir sind besonders interessiert an sich neu gründenden Projekten und Organisationen, die aus der besonderen Transformationskompetenz der Wendekinder heraus aktuelle und zukünftige ökonomische, zivilgesellschaftliche, ökologische und soziale Herausforderungen zu Lösungen führen. Aber auch bestehende Initiativen und Institutionen, die den Aufarbeitungsdiskurs Ost-West bisher aktiv (Gedenkstätten, zivilgesellschaftliche Organisationen) getragen haben können uns ansprechen, – wir versuchen, diese einzubinden und sie mit dem Generationszusammenhang („Dritte Generation“) in Verbindung setzen.

Was muss man mitbringen um im Netzwerk aktiv zu werden?

Eigeninitative und Interesse am Diskurs über die Transformation 1989 bis heute – das betrifft für uns nicht nur die DDR, sondern eben auch die Bundesrepublik in ihrem Zusammenspiel zwischen Ost- und Westdeutschland. Ebenso die Bereitschaft, sich selbstverantwortlich einem Thema zu widmen und ein persönlich passendes Format zu finden, um das Thema alleine oder mit anderen zu bearbeiten. Und Inspiration den Deutsch-Deutschen Dialog auch sozial und kulturell zukunftsgerichtet zu gestalten und dabei die Europäische Perspektive mitzudenken (Dialog Ost-/Westeuropa).

Adriana Lettrari wurde 1979 in Neustrelitz geboren und ist aufgewachsen in Rostock. Sie ist Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin und arbeitete bis 2011 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag, als Fraktionsgeschäftsführerin im Landtag Mecklenburg-Vorpommern sowie als Systemische Beraterin bei Königswieser&Network. 2011 gründete sie die Wendekind gUG, die der Initiative 3te Generation Ostdeutschland den rechtlichen Rahmen gibt. Für ihr zivilgesellschaftliches Engagement erhielt sie 2009 den HBS-Engagementpreis der Hans-Böckler-Stiftung. Derzeit promoviert sie in Bremen. Zusammen mit ihren Mitgründern des Netzwerkes 3te Generation Ostdeutschland hat sie 2012 das Buch »Dritte Generation Ost – Wer wir sind, was wir wollen« veröffentlicht, das im Verlag Ch. Links erschienen ist. Lesen Sie dazu unseren Beitrag “Wenn plötzlich alles anders ist“.

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Von Heimatlosigkeit und Heimatersatz

Gastbeitrag: Ein ganz persönliches Essay über die Suche nach Identität

- Von Nadja Troi-Boeck –

Nein, eigentlich bin ich nicht heimatlos. Natürlich habe ich eine Heimat, geboren wurde ich 1980 in Rostock. Und doch habe ich den Eindruck, nicht ganz dazu zu gehören oder nicht genau zu wissen, wo ich hingehöre. Das hat meinen Lebensweg geprägt.

In meiner Pubertät, das war Mitte der Neunziger, sprachen wir in der Schulklasse immer wieder darüber, dass wir weg wollten aus Deutschland. Es war beinahe unser Slogan für die Zukunft. Dieser Slogan hatte, aus heutiger Sicht betrachtet, wenig mit einer Abneigung gegenüber Deutschland an sich zu tun, sondern mit dem Gefühl, das uns alle prägte: Mitten in der Zeit, in der Jugendliche am stärksten auf der Suche nach der eigenen Identität als junge Erwachsene sind, waren alle Sicherheiten, die unsere Kindheit geprägt hatten, durch die Wende verschwunden. Unabhängig davon, ob es gute oder schlechte Sicherheiten waren bzw. welche Unfreiheiten mit ihnen einhergingen, erforderte ihr Wegbrechen von allen, ihre Lebensentwürfe neu auszurichten. So begann auch für meine Eltern und für uns Kinder die Suche danach, was uns nun ausmacht, wo wir nun hingehören, dazugehören, in diesem vereinten Deutschland.

Damit einher ging das Gefühl der Unsicherheit, in was für einem Land wir denn nun eigentlich angekommen waren, welche Identitäten wir in diesem Land hatten. Für mich als Kind wurde das besonders spürbar durch die neue Arbeit meines Vaters, die bedingte, dass er während der Woche nicht zu Hause lebte, sondern nur am Wochenende da war. Wichtig waren immer die Gespräche mit meinen Eltern darüber, wie denn die DDR „eigentlich war“, denn ich war noch nicht ganz neun Jahre alt als die Mauer fiel und so prägte mich in der Pubertät das Gefühl, nicht so genau zu wissen, was das für ein Land war, in dem ich aufgewachsen war, aber auch nicht wirklich zu Hause zu sein in diesem neuen Land. Das ist für mich auch ein Grund für unseren Slogan als Jugendliche: Weg aus Deutschland. Es war dieses Gefühl der Heimatlosigkeit, das uns begleitete.

Vielleicht fiel mir auch deshalb das Fortgehen nicht schwer. Während des Studiums ging ich zuerst in die USA, um dort allerdings zu merken, dass ich mich als Europäerin fühlte und nicht als Amerikanerin und dann führte mein Weg in die Schweiz. Und es ist wohl keine Neuigkeit, wenn ich berichte, dass es als Deutsche in der Schweiz nicht ganz einfach ist. Jedes Mal, wenn ich den Mund öffne, ist klar, dass ich nicht dazugehöre, keine Schweizerin bin, denn die jeweils lokalen Dialekte der Schweiz kann ich, obwohl ich seit mehr als 10 Jahren hier lebe, nicht sprechen.
Immer wieder dieses Gefühl, nicht ganz dazu zu gehören, das ich vor allem als eine große Chance erlebe. Als Möglichkeit, einen Blick aus der Außenperspektive einzunehmen, mich ohne große Schwierigkeiten auf Neues einzulassen und mich auch schnell wieder zurecht zu finden, wenn es unerwartete Umbrüche und Ereignisse gibt.
Diese erlebte Heimatlosigkeit hat mir wohl besonders bewusst gemacht, dass nichts von unendlicher Dauer ist. Ich habe erlebt, dass nicht nur Menschen kommen und gehen, Beziehungen beginnen und enden, sondern auch Staaten und Gesellschaften sich grundlegend verändern können.

Doch könnte solche Heimatlosigkeit und das Wissen um die Endlichkeit von allen Dingen nicht auch in den Fatalismus führen? Was macht dann eigentlich noch Sinn? Hier muss ich nun meine andere Geschichte erzählen, die meinen Werdegang bis heute prägt. Es ist die Geschichte meiner persönlichen Suche nach einem Sinn dieser Heimatlosigkeit.
Sie begann mit einem Jugendchor, einem kirchlichen Jugendchor, dem ich 1995 beitrat. Als Kind war ich nicht getauft worden und Religion, Kirche und Glauben spielten in unserer Familie keine Rolle. Letztlich hatte meine Entscheidung, mich mit 18 taufen zu lassen eben etwas mit der Suche nach einer eigenen Identität zu tun. Bewusst wurde mir das erst wirklich, als ich meine Doktorarbeit zum Thema der sozialen Identität schrieb und Menschen dazu interviewte, warum es ihnen wichtig ist, religiösen Gemeinschaften anzugehören.

Alles_mv_de_NadjaTroi_Boeck_PorträtAls Jugendliche wollte ich zuerst einmal dazugehören, fast alle anderen im Jugendchor waren getauft und ich fand es einfach toll, wie wir gemeinsam durch Mecklenburg wanderten und jeden Abend in einer anderen Kirche sangen. Um zum Chor zu gehören und mitzusingen musste ich mich nicht taufen lassen, alle waren willkommen. Aber für mich war die Taufe als Jugendliche ein Zeichen, wirklich dazu zu gehören. Doch schnell merkte ich, dass es doch nicht so einfach war mit dem Dazugehören. Hatte ich vorher nie etwas von evangelikalen Christinnen und Christen gehört, erlebte ich nun, dass es Menschen gab, die zwischen „Glauben“ und „Richtig-Glauben“ unterschieden. Dieser Fanatismus war für mich zutiefst befremdend. Und im Theologiestudium an einer ostdeutschen Universität kam mir immer wieder der Eindruck, ich stünde auf der falschen Seite, denn im Theologiestudium und in kirchlichen Kreisen in Ostdeutschland fanden sich vor 15 Jahren fast ausschließlich Menschen, die zu DDR-Zeiten in der Kirche engagiert gewesen und damit fast immer auch im politischen Widerstand waren. Ich kam aber aus einer Familie, die mit Kirche nichts zu tun hatte. Die Verletzungsgeschichten dieser Menschen müssen Gehör finden, aber ich merkte, wie ich es schwierig fand, mit meiner Geschichte gehört zu werden.

Wieder keine Heimat, auch keine Glaubensheimat, auch deshalb ging ich fort, konnte in den USA verschiedenste Glaubensrichtungen kennenlernen und fand in der reformierten Kirche der Schweiz eine Kirche, die sich als „offene Such- und Weggemeinschaft“ definiert und bekenntnisfrei ist. Eine pluralistische Sichtweise auf Glauben war hier möglich und so war es für mich möglich, hier einen Arbeitsort zu finden.
Und heute bin ich Pfarrerin und doktorierte Theologin und spreche mit meinen Konfirmandinnen und Konfirmanden darüber, was sie eigentlich glauben, was ihnen wichtig ist im Leben und was ihnen einen Sinn gibt.

Ohne Kirche, ohne Religion aufzuwachsen, war für mich völlig normal und Menschen, die keiner Kirche angehören sind für mich auch heute sehr wichtige Gesprächspartnerinnen und -partner – gerade auch als Pfarrerin. Denn sie können oft viel unbeeinflusster benennen, wo Theologie, theologische Sprache zu Floskeln verkommt, sie hinterfragen nur Dahergesagtes und fordern mich durch Kritik auch oft heraus, klarer auf den Punkt zu bringen, wie ich Glauben und das Leben im 21. Jahrhundert überein bringe. Und ich bin völlig überzeugt, dass Menschen, die sich nicht als kirchlich oder gläubig bezeichnen, an etwas glauben, ihre eigenen Antworten darauf haben, was das Leben lebenswert macht.

Ist also der Glaube meine Heimat geworden? Heimatersatz? Was mir Sinn auf dieser Suche gab, ist eine Aussage des christlichen Glaubens, dass nichts auf Erden unendlich ist. Es heißt: Wir haben hier keine bleibende Statt. So hatte ich es erlebt und das hatte mich geprägt. Selbst wenn ich Menschen um mich habe, die mir Heimat geben, kann das irgendwann vorbei sein. Und doch habe ich etwas wie Heimat gefunden, die währt, weil sie über mich und uns als Menschen hinausweist, denn die für mich wichtigste Aussage des christlichen Glaubens ist, dass es weitergeht, auch wenn alles dagegenspricht.

Aus entwicklungspsychologischer Sicht gehört das Herstellen von Sinnkohärenz zu einer der Grundkompetenzen, die Menschen entwickeln müssen, um ihr Leben bewältigen zu können. Ist meine Sinnsuche als Wendekind anders verlaufen als sie gewesen wäre, wenn ich die Wende nicht erlebt hätte? Ich kann mir zumindest vorstellen, dass der Aspekt der Heimatlosigkeit mich dann nicht so stark ansprechen würde und ich ihm weniger Positives abgewinnen könnte, als ich es heute tue.

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Ina Young

Reihe: Wendekinder aus Mecklenburg Vorpommern

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Gastbeitrag: Auf Hawaii lernt Ina Young aus ihrer Kindheit in der DDR

Ina Young- Von Ina Young -

Ich lebe in einer multikulturellen Gesellschaft in Honolulu, Hawaii. Ich spiele Orgel für japanische Hochzeiten und für Gottesdienste in einer Kirche, die direkt am Strand gebaut worden ist. Es ist immer warm, meine Kinder gehen manchmal barfuß zur Schule, Weihnachten kann man am Strand liegen, ein Inselparadies eben.

Doch auf den Straßen und an den Stränden von Hawaii leben Tausende von Obdachlosen. Unsere Kirchgemeinde sammelt Nahrungs- und Kleiderspenden für sie und für andere wenig verdienende Menschen der Insel.

Oft frage ich meinen Sohn, ob er nicht auch einige von seinen unzähligen Spielzeugen spenden will. Mein Sohn ist sechs Jahre alt und damit fast so alt wie ich war, als die Wiedervereinigung stattfand. Damals hatte ich noch nie einen obdachlosen Menschen gesehen. Ich weiß nicht wie ich ihm beibringen kann, überflüssige Spielsachen abzugeben. Wir hatten damals nicht so viele Spielsachen. Ich hatte damals auch keine Angst, dass meine Eltern ihre Arbeit verlieren könnten. Diese Angst ist heute schon bei meinem Sohn gegenwärtig.

Wie bin ich hier gelandet?

Ich bin 1982 in Rostock geboren. Ich hatte immer geplant, in der Nähe meiner Familie zu bleiben. Deshalb studierte ich auch im nahegelegenen Greifswald, und zwar Kirchenmusik.
Zum Studium gehörte nach dem Vordiplom ein Praktikum in einer Kirchgemeinde. Da ich in Greifswald schon in einer Kirche arbeitete, wollte ich das Praktikum nutzen, um eine wirklich andere Kultur kennenzulernen. Ich erhielt die Möglichkeit, nach Honolulu zu reisen und dort als Praktikantin in einer „United Church of Christ“ Orgel und Klavier zu spielen, den Chor zu leiten und Einblick in das Gemeindeleben zu nehmen.

InaYoung2Während dieser Zeit lernte ich eine ganz besondere Person kennen und für die zwei   Jahre, die ich noch brauchte, um mein Studium in Greifswald zu beenden, mussten wir uns mit einer Fernbeziehung begnügen. Als ich mich für das K1 Visum bewarb, was damals neun Monate dauerte, fühlte ich mich oft, als wäre ich die einzige Person in der Welt, die auswandert. Ich dachte immer, es war ganz allein meine Entscheidung und etwas ganz Besonderes so weit weg zu ziehen. Erst jetzt, nachdem ich schon sechs Jahre hier gelebt habe, bin ich mir da gar nicht mehr so sicher. Nun, nachdem ich erfahren habe, wie viele von unserer Generation in andere Länder gegangen sind, dass es sogar ein Netzwerk “Third Generation Ost USA” gibt, frage ich mich, ob ich nicht auch einen inneren Drang hatte, weg zu gehen, ob ich nicht auf der gleichen Suche war wie viele von uns Wendekindern.

Und letztendlich war es für mich nicht so schwer in Hawaii noch einmal neu anzufangen. Übrigens ist der Dollar nun meine vierte Währung.

Hier in Honolulu wiederholt sich aber auch manches aus meiner Kindheit. Damit hatte ich nicht gerechnet:

Ich erinnere mich an Fahnenappelle in der Schule. Heute hat mein Sohn an jedem Freitag im Schulhof eine ähnliche Zeremonie, die sie “morning assembly” nennen. Es wird zusammen gesungen, Projekte werden vorgestellt und Auszeichnungen werden vergeben.

Vieles war in der DDR streng geregelt, so manches auch überwacht. In der Vorschule meines Sohnes erlebte ich, dass es nicht einfach ist, meinen Sohn einfach als „Mittagskind“ abzuholen, wie ich es früher sehr mochte. Das geht nur mit einem konkreten Grund, man bekommt sogar ein Begleitschreiben für den Fall, dass man nachweisen muss, warum das Kind nicht in der Einrichtung ist.

In meiner Kindheit umging man Richtlinien – so auch heute. Ich werde mich immer an die Erzählungen meiner Großeltern erinnern, wie in der DDR etwas durch den Zoll „geschmuggelt“ worden ist oder „unter dem Ladentisch“ verkauft wurde. Heute finden meine Kinder auch manchmal Überraschungseier in den Koffern der Besucher, obwohl die hier tatsächlich illegal sind.

Als Kinder sammelten wir Altpapier und Gläser. Ich konnte mir für eine große Gläsersammlung sogar eine Puppe kaufen. Die Kinder werden hier schon in der preschool angehalten, einmal in der Woche leere Büchsen und Flaschen mitzubringen, die dann recycelt werden. Dadurch kommt auch ein bisschen Geld für die Schule zusammen.

Gemeinschaft hatte damals einen großen Stellenwert. Hier habe ich eine Kirche gefunden, in der die Gemeinde wirklich füreinander sorgt. Wenn jemand krank ist, bringen Freunde Essen vorbei, man hilft einander selbstverständlich aus, man sorgt zusammen für die Kinder. Fast “sozialistisch”, denke ich dann manchmal. Denn ich glaube schon, dass wir auch so einiges von unserer Vergangenheit lernen können, was unserer kapitalistischen Welt heutzutage sehr helfen würde. Und ich finde es ist auch unsere Aufgabe, unseren Kindern davon zu erzählen.

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